Ist ein nachhaltiges Immobilienunternehmen automatisch „grün“?
Über die Bedeutung von Nachhaltigkeit muss eigentlich nicht viel gesagt werden. Sie sollte selbstverständlich sein für jedes Unternehmen, das einen Beitrag zu einer lebenswerten Umwelt und Gesellschaft leisten will. Allerdings liegt der Teufel wie so oft im Detail: Wie misst man die Nachhaltigkeit eines Unternehmens konkret?
Einen Ansatz liefert das 2023 S&P Global Sustainability Yearbook. Dort wird die ökologische Nachhaltigkeit unter anderem anhand der Faktoren Ressourcenschutz und -effizienz gemessen. Die Ökologie fließt insgesamt mit 38 Prozent ins Gesamtergebnis ein. Dieses berücksichtigt außerdem Soziales (darunter fällt hier unter anderem das Stakeholder Engagement) mit 36 Prozent und Governance (unter anderem Business-Ethik) mit 26 Prozent. Der Dreiklang aus E (Environmental), S (Social) und G (Governance) ist Standard in der Nachhaltigkeitsmessung.
So auch bei einem anderen, vergleichsweise bekannten System namens GRESB: Dort erhalten ökologische Kriterien ein höheres Gewicht als bei S&P: Ökologie fließt mit 51 Prozent ein, Soziales mit 25 Prozent und Governance mit 24 Prozent. Dies gilt für Unternehmen mit neu entwickelten Immobilien. Bei Immobilienbestandshaltern schraubt GRESB die Bedeutung von E nochmals höher: auf 62 Prozent. Soziale Aspekte kommen dann auf 18 Prozent und Governance auf 20 Prozent. Die Liste an Prüfsystemen ließe sich weiter fortsetzen und wäre lang.
Grüne Verwässerung
Fakt ist: Je nach Gewicht der Ökologie in einem Prüfsystem kann eine schlechte Klimabilanz schwerer oder einfacher durch gute Ergebnisse in den anderen Feldern kompensiert werden. Soll heißen: Ein Unternehmen mit hohen CO2-Emissionen kann je nach Prüfsystem dennoch vergleichsweise nachhaltig sein — durch soziales Engagement und eine starke Unternehmensführung.
Das soll nicht heißen, dass ESG-Ratings keine Daseinsberechtigung oder Sinnhaftigkeit haben. Immerhin prüfen sie beispielsweise, ob ein Unternehmen seine Mitarbeiter fair behandelt und ob entlang der Lieferkette No-Gos wie Kinderarbeit ausgeschlossen werden können. Allerdings kann es eben ratsam sein, die Kohlenstoffintensität eines Unternehmens als eigenständiges Ziel separat zu würdigen und nicht allein auf ESG-Ratings zu setzen, damit es nicht zu einer „grünen Verwässerung“ kommt, wie Felix Goltz kürzlich sagte. Er ist Research Director beim Beratungsunternehmen Scientific Beta und rechnete vor: Unternehmen mit hohen ESG-Ratings sind nicht zwingend klimafreundlicher als Unternehmen mit niedrigeren Bewertungen. Mehr noch: Es bestehe eine erschreckend geringe Korrelation zwischen Kohlenstoffintensität und ESG-Ergebnis.
Für die reine Kohlenstoffbetrachtung bietet sich nach unserer Auffassung beispielsweise die Science Based Targets initiative (SBTi) an. Wie der Name schon sagt, steht die Initiative für wissenschaftlich fundierte Ziele, die Unternehmen einen klar definierten Weg zur Verringerung der Treibhausgasemissionen aufzeigen helfen. Die entsprechenden Ziele gelten dann als „wissenschaftlich fundiert“, wenn sie im Einklang stehen mit den neuesten Forderungen der Klimawissenschaft, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen — also die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau.